Für Margarete Oehlschlaeger ist es eine ganz besondere Ehre: Für den Michel wird die Silberschmiedin fünfzehn neue Abendmahlkelche fertigen. Sie werden aus dem Familiensilber gemacht, das Michel-Freunde gespendet haben. Damit wird eine ganz besondere Verbindung zwischen den Erinnerungen in den Familien und dem Michel entstehen. „Ich fühle mich sehr geehrt von dem Vertrauen, das in mich gesetzt wird“, sagt die 73-Jährige, die auch für den Entwurf der Kelche verantwortlich ist.
Für den Michel ist die Lübeckerin nicht zum ersten Mal tätig. In ihrer Werkstatt mitten auf der Lübecker Altstadtinsel hat sie bereits vor drei Jahren ein sakrales Gefäß aus dem Jahr 1726 restauriert. Solche Gegenstände in der Hand halten zu dürfen, aufgeladen mit Symbolik und der Spiritualität vieler Generationen, berühre sie immer noch sehr. „Ich fühle mich dadurch dem Michel verbunden." Die neue Arbeit für den Michel sei etwas ganz Besonderes, findet die gläubige Protestantin. „Wir schaffen etwas Heiliges, das die Jahrhunderte überdauern wird“, erklärt sie. „Diese Dinge landen nicht im Museum, sondern werden angewendet – das ist doch wunderbar!“
Noch immer hat Margarete Oehlschlaeger gehörig Respekt vor jeder neuen Aufgabe. „Jeder Kelch ist ein Abenteuer“, findet sie. Körperlich anstrengend sei die Arbeit, „aber wenn es klappt, macht es Spaß.“ Fünf Frauen arbeiten in der Werkstatt, viele schon seit Jahrzehnten. Alle haben auch dort ihr Handwerk gelernt – das ist bundesweit einzigartig. Die älteste, 77 Jahre alt, ist bereits seit 62 Jahren in der Firma tätig. Margarete Oehlschlaeger selbst ist seit 56 Jahren dabei, ihre Tochter Maya arbeitet ebenfalls im Unternehmen.
„Schon als Kind habe ich Schmuck geliebt“, erinnert sie sich. Eigentlich wollte sie Goldschmiedin werden, landete dann aber in der Silberschmiede bei Robert Oehlschlaeger in Lübeck, einem vielfach preisgekrönten Ausnahmekünstler. „Ich dachte, das lerne ich nie“, erzählt sie. Silberschmied sei eigentlich kein Frauenberuf, sie sei hart rangenommen worden, aber sie bestand, bildete sich auf der Hochschule fort, lernte alte Techniken und ging zurück in ihren Ausbildungsbetrieb. „Da funkte es“, sagt sie mit feinem Lächeln – Margarete heiratete den 17 Jahre älteren Werner Oehlschlaeger, das Paar bekam drei Töchter.
Im Unternehmen war die Aufgabenteilung klar: Werner Oehlschlaeger übernahm die größeren Silberarbeiten und Restaurierungen, sie war für den Schmuck zuständig, „Das war nichts für meinen Mann“, sagt sie lachend. In der Werkstatt war trotzdem Teamwork angesagt. „Wir haben oft Schulter an Schulter gearbeitet, ich habe zugeschaut und viel gelernt.“ Mit eigenen Entwürfen und internationalen Ausstellungen machte sie sich einen Namen. „Dieser Beruf braucht jahrelange Erfahrung“, weiß sie.
Als Werner Oehlschlaeger vor zehn Jahren völlig unerwartet starb, stand seine Frau vor der schweren Aufgabe, das Unternehmen allein weiterzuführen – ein Schock. „Ich musste ja weitermachen und habe mir eingeredet, dass ich es schaffe“, erzählt sie. Zum Nachdenken oder Trauern kam sie erst später. „Es gab viele Aufträge, die abgearbeitet werden mussten, ich hatte Verantwortung für die Familie und die Firma.“ Doch Kunden und Mitarbeiter hielten ihr die Treue. Aus dem Schatten ihres bekannten Mannes ist Margarete Oehlschlaeger längst herausgetreten, sie genießt internationales Ansehen.
Ihre Arbeit ist für die elegante, schlanke Frau mehr Berufung als Beruf. Die Silbersammelaktion des Michel hat für sie eine ganz besondere Bedeutung, weil sie Gemeinschaft schafft und weil sie gemeinsam mit vielen Menschen etwas schafft, das die Zeit überdauern wird. „Man gibt Menschen etwas, was sie aus der Liturgie des Abendmahls mit nach Hause nehmen. Sie sind ein Teil davon.“