Reinhard Bochem hält es mit der Tradition – auch wenn der 54-Jährige auf den ersten Blick verschmitzt-modern aussieht. Mit langer grauer Mähne und sorgfältig gepflegtem Hipsterbart wirkt der lässige Typ in Jeans und T-Shirt nicht unbedingt wie der Geschäftsführer eines Hamburger Traditionsunternehmens. Doch die Edelmetall-Scheideanstalt Schiefer & Co. auf St. Georg ist seit 1923 im Familienbesitz, Reinhard Bochem führt sie in dritter Generation. 2007 folgte er seinem Vater Robert im Unternehmen nach. „Mein Vater ist mein Vorbild“, sagt Reinhard Bochem. „Von ihm habe ich Grundaufrichtigkeit, Genügsamkeit und Akribie gelernt. Er hat mir gezeigt, dass man seinen eigenen Weg gehen muss – so unabhängig wie möglich, aber hoch seriös.“
Dem Sohn ließ Vater Bochem alle Freiheiten. Reinhard Bochem ging zum Studium nach Paris und arbeitete in der Mode-, Film- und Werbebranche. „Ich bin neugierig, mich interessiert alles“, sagt er. „Ich will Menschen weiterbringen und etwas bewegen.“ Wie der Vater war auch er der Quereinsteiger im Unternehmen – und bringt seitdem seine eigenen Themen voran, auch als Edelmetallhändler. „Die Idee, sich mit der Identität, also der Herkunft, von Metall zu beschäftigen, war neu in Deutschland“, erklärt er. Für Reinhard Bochem ist sie eine Frage der Ethik: Wo kommt das Gold her, wie wird es gewonnen? Einer der Goldschmiede des Unternehmens hatte Verbindungen nach Finnland. Von Schürfern im nordfinnischen Tankavaara kauft er sein Gold – so kann er sicher sein, dass es seinen Ansprüchen an Nachhaltigkeit genügt. „Wenn man die Identität kennt, ist das ein Zuwachs an Erlebnis und Bewusstsein“, erläutert er.
So war er auch gleich mit Begeisterung bei der Silbersammelaktion für fünfzehn neue Michel-Abendmahlskelche dabei. Weil die alten Sakralgefäße durch jahrzehntelange Nutzung so gelitten haben, dass sie kaum noch verwendbar sind, haben Michel-Freunde Herzen und Schränke geöffnet und ihr altes Silber gespendet. Daraus werden neue Gefäße gefertigt, die wie ihre Vorgänger Jahrhunderte überdauern können. Dafür muss das Silber zuerst in einem geschlossenen Prozess „Identitätswahrend“ geschmolzen, von Fremdmetallen getrennt und zu 1000er Feinsilber verarbeitet. Durch Zugabe von 65/1000 Kupfer, das aus alten Kupferplatten vom Micheldach gewonnen wurde, entsteht dann einzigartiges Michel-Silber, aus dem die neuen Abendmahlskelche von einer Silberschmiedin gefertigt werden. „Das ist großartig“, findet Reinhard Bochem, denn hier wird aus gespendetem Familiensilber ein Metall mit einzigartiger Herkunft und Identität geschaffen.
Kurzfristigkeit ist nicht seine Sache, der Horizont des Handwerkers und Künstlers ist viel weiter gespannt. Mit Achtsamkeit in die Zukunft einer Welt zu investieren, die auch für seine heute 10 und 17jährige Söhne lebenswert ist – das treibt Reinhard Bochem um. Und wenn er mal eine Auszeit braucht, um die auf voller Kraft laufenden Akkus wieder aufzuladen, dann haut er ab in die Weiten Finnlands, wo es im Winter so kalt ist, „dass mein Bart zu knistern beginnt.“ Dort findet er seine Art von Spiritualität, aber auch eine Gemeinschaft von Menschen, die seine Art zu denken teilen.