Doch jetzt ist dem vitalen, Pfeife rauchenden Künstler eine besondere Verantwortung aufgetragen worden: die kunstvolle Verzierung der beiden fehlenden Schlagglocken. Die gemachte Erfahrung bei Gestaltung und Verzierung der Jahrtausendglocke, die wegen eines Risses im Jahre 2008 noch einmal neu gefertigt werden musste, kommt ihm dabei zugute. Im Gespräch wirkt er gelassen, weil er doch ganz genau weiß, was er wie machen will. Aber dass es in seinen Händen kribbelt, ist ihm anzumerken.
Die ersten Skizzen der Glockenzier für beide Schlagglocken sind längst gezeichnet, aber noch befindet sich alles im Frühstadium. Es gibt viele Fragen: Welche Schrift wird verwendet und an welcher Stelle der Glocke soll sie stehen? Welche Verzierung passt am besten? Wo soll die Jahreszahl hin? Diesmal stellt vor allem die Vater-Unser-Glocke eine Herausforderung dar. Der vom Kirchengemeinderat festgelegte Text „Vater vergib“, der erste Vers des Coventry-Gebetes, hat es in sich. Er soll als Zeichen des Friedens nicht nur in deutsch, sondern auch in englisch, französisch und russisch auf die Glocke gebracht werden. „Vater vergib“, „Father forgive“ und „Père pardonne“ bereiten dem Verzierungskünstler keine Bauschmerzen. Was aus dem Rahmen fällt, ist die kyrillische Schrift des russischen Textes. Aber Scharf hat schon längst eine Lösung für die Vergebungsglocke gefunden, wobei die gewählten Schrifttypen harmonisch zueinander passen.
Wenn Größe, Stärke und Krümmung des Glockenkörpers endgültig festgelegt worden sind, kann er die Zeichnungen maßstabsgetreu anfertigen. Diese werden vom Kirchengemeinderat und der Baukommission genehmigt. Doch danach muss sich der Künstler noch viele Wochen in Geduld üben. Die eigentliche Arbeit geht erst auf der „falschen Glocke“ weiter.
Dann werden alle Verzierungselemente, die Scharf auf den Knien liegend zuvor mit Zimmermannsbleistift in Originalgröße auf einen großen Bogen Packpapier gezeichnet hat, auf einer ein Millimeter dünnen Wachsfläche übertragen. Diese Elemente werden mit einem speziellen Schneidemesser ausgeschnitten und die Kanten vorsichtig abgezogen. Alles muss haargenau stimmen, weil jede Abweichung den Glockenklang verändert. Die Rezeptur des Wachses bleibt ein Geheimnis. Die Buchstaben, die Gestaltungselemente und die Zahlen werden danach auf der „falschen Glocke“ aufgetragen. Die Wachsteile werden im sogenannten Ausschmelzverfahren ausgehärtet. Das heißt: Das Wachs schmilzt, die Verzierungen bleiben erhalten und geben den Glocken ihr Aussehen.
Ein spannender Vorgang, der die bange Frage aufwirft, wird alles gutgehen und wie gewünscht gelingen? Paul Gerhard Scharf strahlt schon jetzt die Gelassenheit aus, dass sein Kunstwerk gelingt. Dass er bei dieser historischen Aufgabe auf die Anbringung seines Signets verzichtet, sagt einiges über die Bescheidenheit aus, die eine Persönlichkeit auszeichnet, die mit Gottvertrauen in sich ruht, und die weiß, dass sie etwas Wunderbares und Bleibendes geschaffen hat.