Als Kind hat Ernst Schau 120 Schulen besucht. Jahrmarktstermine bestimmten seinen Stundenplan. Spätestens nach vier Wochen zog seine Familie weiter in die nächste Stadt und der kleine Ernst in die nächste Schule. In einem Heft wurden die Schulzeiten vom Rektor vermerkt. Eine lückenlose Schulzeit und stete Anwesenheit war Pflicht. Was Ernst an Inhalten versäumte, musste er in der Winterpause aufholen. Heute besuchen die meisten Schaustellerkinder ein Internat.
Von seinem Vater übernahm er als junger Mann eine Schießbude und baute sich weitere Geschäfte auf. In Hagenbeck verkauft er süße Mandeln und Lebkuchenherzen und auf dem Hamburger Weihnachtsmarkt ist er mit seinem Michel-Glühweinstand eine Institution. Schon von weitem sieht man den sechs Meter hohen nachgebauten Michel-Turm am Jungfernstieg vor der Haspa stehen, an dem man auch in diesem Jahr wieder die Michel-Weihnachtsglocken kaufen kann. Für Ernst Schau ist der Michel eine Herzensangelegenheit, denn der Michel ist die Kirche der Schausteller.
Der Michel und der Hamburger Dom sind Nachbarn. Sechzehn Wochen im Jahr leben die Schausteller in Sichtweite des Michel. Für Michelpastoren waren sie deshalb immer Teil der Gemeinde. Noch heute erzählt Ernst Schau mit leuchtenden Augen von Michelpastor Kuhfuss, der ihn und viele andere Schaustellerkinder getauft und konfirmiert hat. Eigentlich hätten diese Taufen gar nicht stattfinden können, denn Schausteller haben nur einen einzigen gemeinsamen freien Tag im Jahr, den Karfreitag. Und an diesem Tag, dem Tag der Kreuzigung Jesu, finden im Michel keine Amtshandlungen statt. Doch Pastor Kuhfuss fand eine pragmatische Lösung und verlegte die Taufen und Konfirmationen ins Bierzelt auf dem Heiligengeistfeld. Der Wirt gehörte ebenfalls zur Schaustellerfamilie und am Karfreitag ruhte die Arbeit auf dem Dom. Ernst Schau sind diese Feste unvergessliche Erinnerungen.
Das Leben als Schausteller ist hart. Die Saison geht von Ostern bis Silvester. Manchmal stehen sie mit ihren Stände zeitgleich auf mehreren Märkten. 7 Tage in der Woche muss man auf der Matte stehen und jeder muss mit anpacken. Doch Ernst Schau sagt „Der Mensch muss geistig und körperlich gefordert sein, damit er lebendig bleibt.“ Er ist ein Mann der Tat, der seine wichtigste Lebenserfahrung kurz und bündig zusammen fassen kann: „Geld macht nicht zufrieden. Ich bin zufrieden, wenn ich Dinge tue, von denen ich überzeugt bin“. Und das tut er in einem Alter, in dem andere Männer schon eine Dekade den Ruhestand genießen.
Ruhe findet der energiegeladene Schausteller im Michel. Wann immer er in der Nähe ist, nimmt er sich Zeit, setzt sich in die Kirche und entzündet eine Kerze für seine verstorbene Tochter und Frau. „Der Michel ist so hell und frei. Hier fühle ich mich geborgen und zuhause.“ Für einen Schausteller, der immer auf Achse war, ist das ein großer Schatz.