Es dauert ein bisschen, bis Frieda Behrmann zur Tür kommt. Die alltäglichen Dinge gehen ihr nicht mehr so schnell und mühelos von der Hand. Doch die zierliche alte Dame hadert nicht. Mit der Gelassenheit der Hochbetagten lebt sie ganz im Moment und konzentriert auf die Gegenwart. Mit hundert Lebensjahren weiß Frieda Behrmann um die eigene Vergänglichkeit, doch darüber denkt sie meist nicht weiter nach: Das Leben ist eben so.
Von ihrer Wohnung aus kann sie die Glocken des Michel läuten hören; den kurzen Fußweg zur Kirche schafft sie mit ihrem Rollator noch allein. An jedem Tag steht etwas anderes an: Haushalt, Verabredungen, mal ein langer Spaziergang oder ein Nachmittag im Theater – Frieda Behrmann ist viel unterwegs. Ein Fixpunkt in ihrer ausgefüllten Woche ist der Seniorentreff beim Michel, der ihr über die Einsamkeit nach dem Verlust ihres Lebenspartners hinweggeholfen hat. Bei Gymnastik, Klönschnack und Tango hat sie in den letzten Jahren neue Freunde gefunden und genießt die Gemeinschaft. „Meine Freunde sind mein Zuhause“, erklärt sie.
Neugierig auf das Leben ist Frieda Behrmann immer noch. Schon als 16-Jährige hat sich die gebürtige Neumünsterin die Großstadt Hamburg erobert. Immer gearbeitet hat sie, „alles Mögliche habe ich gemacht.“ Den Krieg überlebten sie und ihr Mann in Hamburg. „Wir hatten Glück und wurden nicht ausgebombt“, erinnert sie sich. Das kinderlose Ehepaar baute ein Häuschen am Stadtrand, schließlich zogen sie in eine Genossenschaftswohnung in der Neustadt. Hier wohnt Frieda Behrmann noch heute – seit mittlerweile 57 Jahren.
Nach dem Tod ihres Mannes nach dreißig Jahren Ehe fand sie neues Glück bei ihrem Lebensgefährten; auch diese Verbindung hielt mehr als dreißig Jahre. Die beiden hatten viele gemeinsame Interessen, waren tanzen, im Theater und bei Konzerten. „Und wir haben mit dem Auto viele Reisen unternommen,“ erzählt Frieda Behrmann, die selbst eine begeisterte Fahrerin war. Manches Souvenir in ihrer gemütlichen Wohnung zeugt von ihren Unternehmungen. Wenn sie von diesen Jahren erzählt, dann blitzen Episoden ihres Lebens auf, die sich zu einem Kaleidoskop von Geschichten und Bildern fügen. Sie haben Frieda Behrmanns Leben geformt und sind ihr Rucksack voller Erinnerungen. Manches Mal war er eine Last, doch mit den vielen Jahren wurde er leichter: Frieda Behrmann kann loslassen. Mit der heiteren Gelassenheit eines Menschen, der mehr gesehen und erlebt hat als die meisten, ist sie dankbar für jeden neuen Tag.
Wenn sie zum Seniorentreff zum Michel geht – „das schaffe ich noch allein!“ -, dann bleibt sie manchmal stehen und schaut auf die Michel-Tafeln auf dem Kirchplatz. Auch ihr Name und der ihres 2011 verstorbenen Lebensgefährten Rolf Pelzer sind dort zu finden: Vor zehn Jahren haben die Teilnehmer des Seniorentreffs sich dort verewigt. Was sie wohl auf ihre Tafel schreiben würde, wenn sie eine für sich allein hätte? Da überlegt Frieda Behrmann lange. „Eine Danksagung an den Michel“, sagt sie leise. „Dafür, dass es ihn gibt und dass ich dort immer hingehen kann.“