„Fliegen können“ ist eine Zeile aus einem Gedicht, das Eberhard Möbius zu einem Bild von Marc Chagall geschrieben hat. Darauf ist der Maler zu sehen, der eng umschlungen mit seiner Frau Bella über seine Heimatstadt fliegt – ein Bild inniger Liebe und Hingabe. „Fliegen können“ hat der Künstler auch auf eine Michel-Tafel geschrieben, die er seiner Frau Christa gesetzt hat. „Dieser Satz steht für alles: für Gedanken, Wünsche, Erinnerungen“, sagt der 91-Jährige. Er steht auch für seine große, unverbrüchliche Liebe zu seiner Seelenverwandten Christa. „52 Jahre waren wir verheiratet“, erzählt er. „Ist das nicht zu bedanken, dass wir eine solche Verbindung hatten?“ Seit ihrem Tod 2012 schreibt er jeden Tag an seine Christa, berichtet von Erlebnissen und Begegnungen, alles ordentlich notiert in wunderschöne Notizbücher, die randvoll sind mit Zetteln und Bildern: „Ich schreibe jetzt schon im neuneinhalbten Buch.“ Christa sei eine so wunderbare Frau gewesen, „davon kann ich mich nicht verabschieden. Christa ist bei mir, das gibt mir eine unglaubliche Stärke.“
Die unzähligen Geschichten, die er in seinem langen Leben gesammelt hat, sie sind Eberhard Möbius‘ großes Kapital. Wenn der Meister des Wortes ins Erzählen kommt – und das tut er gern –, dann entfaltet sich sein Leben als ein Kosmos von fabelhaften Erlebnissen und faszinierenden Schicksalswendungen. Dass sie immer gut ausgegangen sind, liegt an seinem unerschütterlichen Glauben, dass das Leben einfach gut ausgehen muss. In seiner langen Karriere als Schauspieler und Regisseur, Intendant und Theatermacher, Autor und Erzähler hat er manche Niederlage erlitten. Gescheitert ist er daran nie, sondern gewachsen. „Niederlagen sind zum Aufstehen“, findet er.
1958 kam Eberhard Möbius in den Westen, nach Hamburg, die Heimatstadt seiner Mutter. Der Hamburger Theaterchef Friedrich Schütter bot ihm gleich einen Vertrag an, „aber ich konnte doch nicht am Montag sozialistisches Theater machen und am Freitag kapitalistisches. Ich musste erst mal verstehen, wie das Leben hier funktionierte.“ Möbi fing als Schauermann am Hafen an, löschte Kaffee und Obst und wechselte schließlich als „Schietgänger“ in die besser bezahlte Schiffsreinigung. „Da arbeiteten sieben Kollegen, alles Riesenkerle“, setzt er zu einer seiner unzähligen Anekdoten an. „Die freuten sich, als sie mich sahen! Warum? Ich wog damals gerade mal 108 Pfund und kam zum Reinigen in jeden Kessel.“
Der Michel wurde damals buchstäblich zum Taktgeber seines Lebens, denn bei der schmutzigen Arbeit konnte Möbi keine Armbanduhr tragen. „Wenn ich verdreckt und verschwitzt aus dem Schiffsbauch kam, konnte ich an der Turmuhr die Zeit ablesen.“
Flügel wuchsen ihm, als er seine Christa kennenlernte, Hemdenverkäuferin beim Beamteneinkauf. „Wir waren arm und glücklich, lebten von Brot und Schmalz“, erzählt er. 1961 bekam Möbi einen festen Vertrag bei Friedrich Schütter, baute mit ihm das Ernst-Deutsch-Theater auf und sah auf der Hochzeitsreise mit Christa in Kroatien etwas so Wunderbares, dass es zu seinem Lebenstraum wurde: ein Theaterschiff! „Gibt es so was schon in Hamburg?“, fragte er seine Christa. „Du hast so was ja noch nicht gemacht“, hat sie keck geantwortet.
Damit war die Sache klar. Jahrelang lang arbeiteten Eberhard und Christa Möbius auf die Verwirklichung ihres Traumes hin, bis sie 1974 die hochseetüchtige „MS Rita Funk“ erwarben und umbauten. „Ich sehe Christa immer noch im Blaumann vor mir, wie sie die Farbe runterkratzt,“ sagt er lächelnd. Ein Jahr später war Premiere, das Ehepaar Möbius schrieb mit seinem „Theater Das Schiff“ über Jahrzehnte Hamburger Theatergeschichte: „Ich bin ein Handwerker für Träume.“ Viel hat er bewegt in der Hansestadt, hat nebenbei das Alstervergnügen erfunden, schrieb Fernsehserien und kennt gefühlt jeden. „Wann haben wir das bloß alles gemacht?“, hat sich das Ehepaar manches Mal im Rückblick gefragt. „Ohne Christa hätte ich das nie geschafft.“
Den Menschen Mut machen, das war und ist sein Credo. Das tut er auch am Michel, den er seit seiner Zeit im Schiffsbauch nicht mehr aus dem Blick verloren hat. „Er sieht dich an, wo du auch bist“ hat er in einer Geschichte über den Michel geschrieben. Seit 25 Jahren liest er jedes Jahr Weihnachtsmärchen im Michel und ist sichtlich stolz darauf, dass er kein einziges Mal gefehlt hat.
Am Michel hat seine Liebe zu Christa ihren Platz gefunden. „Dir und dem Michel verbunden“ hat er auf eine der Messingtafeln gravieren lassen und ein Zitat von Ruth Hoffmann hinzugefügt: „Möchte doch ein Engel dir, als du starbst, das Haupt gehalten haben und mit meiner Stimme dir gesagt; dass ich innig dich und ewig liebe.“ Seine Christa fehle ihm jeden Tag, sagt er. „Aber es macht mich fröhlich, wenn ich an sie denke.“ Denn Liebe verleiht Flügel.