Dafür ist Maria im Kofferraum über die Elbe in das Restaurierungsatelier nach Wilhelmsburg gereist, wo sie von den beidenRestauratorinnen bearbeitet wird. In einem Reihenhaus mitten im Wohngebiet versteckt sich unterm Dach ein professionelles Atelier, das technisch und sicherheitsrelevant allen Anforderungen entspricht. Die beiden Frauen sind auf die Konservierung und Restaurierung von Holzobjekten und Gemälden spezialisiert. Mit sakraler Kunst haben sie sich schon vorher beschäftigt. „Aber eine Krippe war bisher noch nicht dabei“, erklärt Bettina Heine. Vorsichtig begutachtet ihre Kollegin Hanna Johann die Schäden an der zarten Figur, die die Puppenmacherin Barbara Runschke in den 70er Jahren für die Hauptkirche geschaffen hat. Behutsam wenden sie die Puppe hin und her, fotografieren und dokumentieren den Zustand.
Schnell steht fest: Maria hat einen gebrochenen rechten Arm, der linke hat sich gelöst und wird nur noch durch das Gewand in Position gehalten. „Die Figuren waren sicher nicht für die Ewigkeit gemacht“, glaubt Bettina Heine. Die Puppenmacherin hat damals einen Mix aus Materialien verwendet, die gut modellierbar waren. Die Glieder sind aus Kunstharz gefertigt, der Körper besteht aus Hartschaum. „Da sind Schäden vorprogrammiert“, weiß Hanna Johann. Nicht nur Maria hat es erwischt: Nach und nach werden Hirten, ein König und ein Schaf im Atelier in Wilhelmsburg wieder in Form gebracht. Die Gewänder der Figuren seien in erfreulich gutem Zustand, finden die beiden Restauratorinnen. Da sie nur während der Adventszeit ausgestellt werden, sind sie kaum ausgeblichen. Doch schwankende Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit in der Kirche und im Sommerlager setzen den Figuren zu.
Vorsichtig löst Hanna Johann Marias Gewand, das mit zwei Stichen über der Schulter geschlossen ist.
Zum Vorschein kommt der abgelöste linke Arm. Ob er gut wieder anzupassen ist? Mühelos gleitet der Dübel in die Fassung im Puppenkörper: „Da ist die Fixierung kein Problem.“ Beim gebrochenen rechten Arm hat es bereits frühere Reparaturversuche gegeben, „leider mit sehr viel Klebstoff, der sich auch auf dem Arm verteilt hat“, erklärt Bettina Heine. Der Kleber muss entfernt werden, ohne die Bemalung aus Ei-Tempera zu beschädigen. „Eingebrachte und verwendete Materialien sollen dauerhaft und ohne Schadstoffe sein“, erläutert sie. Wichtig sei auch, dass man sie wieder entfernen könne – „so wie den Kleber“ – und dass man sie gut vom Original unterscheiden könne. Aber ist die Krippe überhaupt Kunst und ist sie wertvoll? „Auf jeden Fall hat sie kunsthandwerklichen Charakter“, findet Bettina Heine. „Ihre Wertigkeit entsteht dadurch, dass sie Menschen etwas bedeuten.“
Der starke Bezug der Gemeinde zu den Krippenfiguren habe sie überrascht und sehr beeindruckt. Zart und zerbrechlich sieht Maria auf dem ausgeleuchteten Tisch im Atelier aus, fast wie eine richtige Patientin beim Arzt. Ihre starke Präsenz wird unter dem hellen Licht der Arbeitslampe besonders deutlich. „Jede der Figuren ist ganz individuell“, findet Hanna Johann. „Maria hat zum Beispiel ganz fein gearbeitete Hände, mit richtigen Fingernägeln“, stellt sie staunend fest. Den Figuren ihr Geheimnis zu entlocken, zu verstehen, wie sie aufgebaut sind und funktionieren, das fasziniert die Restauratorinnen: „Erst dann können wir gut arbeiten.“Behutsam, fast fürsorglich gehen sie mit der Figur um, so als könnte sie spüren, was mit ihr passiert. Reden die beiden bei der Arbeit mit den Figuren? Kurzes Zögern. „Ja, das tun wir“, sagt Bettina Heine lächelnd. „Es ist ein schönes Gefühl, Maria hier sitzen zu haben. Es macht uns Freude sie zu erhalten, damit die Menschen noch lange mit ihnen verbunden sein können.“ Ob sie in der Adventszeit in den Michel kommen werden, um die Krippe anzusehen? „Auf jeden Fall“, sagen die beiden wie aus einem Mund – und plötzlich ist Weihnachten im kleinen Atelier unterm Dach in Wilhelmsburg ganz nah.
18.11.2017