Über die Tradition der Weihnachtskrippen
Überall auf der Welt, wo Christen Weihnachten feiern, findet man den Brauch, in Kirchen und Häusern Weihnachtskrippen aufzustellen. Die Krippen sind Ausdruck einer Sehnsucht, dem nahe zu kommen, was so unbegreiflich erscheint: Gott wird Mensch. Gott kommt den Menschen so nahe, dass er selbst als ein Kind zur Welt kommt. Die ersten, die von der Geburt Jesu berichteten, waren die Evangelisten Lukas und Matthäus. Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas ist heute ein Stück Kultur. Diese werden in den Gottesdiensten am Heiligen Abend gelesen.
Aber von der Geburt Jesu wurde nicht nur geschrieben, sondern sie wurde auch bildlich dargestellt. Bereits im 4. Jahrhundert finden sich in den Katakomben Roms Darstellungen der Geburt Christi. In altchristlicher Zeit wurden am Weihnachtstag in den Kirchen geistliche Schauspiele aufgeführt, die vom 10. Jahrhundert an stärker volkstümlichen Charakter annahmen und sich allmählich über ganz Europa verbreiteten. Diese Spielszenen entstanden aus liturgischen Wechselgesängen und beschrieben die Geschehnisse der Heiligen Nacht bis hin zur Passion.
Die Idee der Weihnachtskrippe verdanken wir Franz von Assisi. 1220 errichtete er in einer Waldhöhle eine Futterkrippe. Seine Mitbrüder übernahmen einige Rollen des Spiels, ein lebendiger Ochse und ein Esel wirkten ebenfalls mit. Daraus entwickelte sich die Tradition der Weihnachtskrippen. Eine der ältesten steht heute in der Sixtinischen Kapelle der Basilika S. Maria Maggiore in Rom. Sie wurde aus Alabaster gefertigt und 1291 der Kirche gestiftet. Die große Blütezeit der Krippen war das Zeitalter des Barock. Erste sichere Nachrichten von Kirchenkrippen stammen aus Süddeutschland, wo nach der Zeit der Reformation zuerst die Jesuiten den großen Wert der Krippe als Andachtsgegenstand und als Mittel der religiösen Unterweisung erkannten. Sie ließen beeindruckende, wertvolle Krippen bauen, und diese verbreiteten sich rasch in den Kirchen des gesamten katholischen Europas. Der Funken sprang bald auch auf die Städte über, und schließlich wollte jede Gemeinde eine eigene Krippe haben. Zu Hochburgen des Krippenbaus in Europa entwickelten sich Italien, Spanien, Portugal und Südfrankreich, im Osten Europas die Länder Polen, die Tschechei und Slowakei, in Mitteleuropa vor allem Österreich und der Süden Deutschlands.
Eine weitere Blütezeit erlebte die Krippenkunst im 18. Jahrhundert. Sowohl in den Kirchenkrippen, als auch in den Krippen des einfachen Volkes begann man, die Weihnachtsgeschichte auszuweiten und sie mit unzähligen Stationen und Episoden zu ergänzen. Eine neapolitanische Krippe aus jener Zeit befindet sich im Michel. Man kann diese und einige andere in der Krypta bewundern. Die Krippe aus Neapel ist voll von prallem Leben. Maria, die Hirten, sie stehen mit ausladenden Gesten um das Kind, als wollten sie damit ausdrücken, dass sie es noch gar nicht fassen können, dass dieses Kind das Geschenk Gottes an die Menschen ist. Im Nebenhaus wird gefeiert. Da sitzt eine Gruppe von Menschen in einer Küche. Schinken hängen von der Decke, es wird getrunken und gegessen; es geht hoch her. Beides gehört zusammen. Der menschliche Alltag und das Kind in der Krippe.
Das Interesse an Krippen ist nach wie vor sehr stark. Ich erlebe es immer wieder im Michel. In der Adventszeit stehen Menschen an, um allein oder mit Kindern und Enkeln die große Michel-Krippe anzuschauen. Der Bau von Krippen hat sich im Laufe der Jahrhunderte über die ganze Welt verbreitet. Diese haben dann ihre landestypischen Eigenarten. Das Forum St. Michaelis bietet am 5. Dezember eine Exkursion mit dem Ziel des wundervollen Krippen-Museums in Güstrow an.
Alle Krippen zeigen eine zentrale Szene: Eltern schauen ihr Neugeborenes an. Eigentlich alltäglich, und doch für alle Eltern ein Wunder, ein Geschenk. Es ist eine Art Urbild, archaisch, tief in der Seele der Menschen verankert. Und für viele verbindet sich damit die Sehnsucht nach einer heilen Welt ohne Konflikte, Auseinandersetzungen. Ernesto Cardenal, ein lateinamerikanischer Mönch und Dichter hat es einmal so ausgedrückt: „Gott kommt zum Menschen und will in ihm zur Welt kommen. Nicht wir können überall den Frieden schaffen. Der wichtigste Impuls dazu kommt uns immer von woanders her schon entgegen, z. B. im Mut zur Vergebung oder dem Willen zur Versöhnung. Der wichtigste Impuls kommt von Gott.“
Von Hartmut Dinse
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